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16. Mai 2012

"Verdammt, schon wieder 100 Leser abgeschreckt"

Ich bin nicht der Meinung, dass früher alles besser war als heute, ebenso wenig denke ich, dass heute alles gut ist, was uns als Fortschritt versprochen wird. Die Vereinfachung gegenseitiger Vernetzung durch die „digitale Revolution“ hat grosses Potenzial für kleine Veränderungen. Viele davon werden vielleicht nie den „Tipping Point“ erreichen. Andere werden es schaffen, unsere Denkweise, unser Handeln zu beeinflussen.  Was mich viel eher zu manchmal etwas gesellschaftlichem Pessimismus bringt, ist die Tatsache, dass heute das Wort Innovation zu einem lauen Abklatsch seiner selbst verkommen ist. Vieles wird einem heute als neu und innovativ verkauft, dass aber lediglich eine lineare geringfügige Weiterentwicklung von Bestehendem ist. Ich hab das Gefühl, da kommt aktuell einfach nichts mehr. Wo finden wir den heute echten Fortschritt? Die Politik dreht sich im Kreise, das Klima serbelt vor sich hin, das Geld fliesst immer noch von unten nach oben, Nahrungsmittelspekulationen verschärfen die Armut und den Hunger, Wasserknappheit droht, der Peak-Oil steht vor der Tür und wir, wir bleiben bei oberflächlicher Vernetzung im Netz hängen, posten Statements, dass wir heute nicht Arbeiten mögen, dass es im Mai schlecht Wetter ist und Thanks God it’s Friday. 

Ich warte auch nicht auf DEN „next hype“. Ich brauche keine neuen Megatrends mit schönen englischen Wörtern. Aber ich will Engagement! Ich will den sozialen Wandel. Doch dazu braucht es manchmal auch einfach den Spiegel unseres Selbst und ich persönlich habe das Gefühl, dass dieses Selbstbild gerade unserer westlichen Welt viel zu komfortabel ist, um sich überhaupt für etwas zu engagieren. Klar, an den Rändern der Gesellschaft bewegt sich immer etwas. Genauso, wie es an den Branchenrändern zu Innovationen dank interdisziplinärer Zusammenarbeit kommt. Vieles bewegt sich heute, alles ist irgendwo nicht mehr starr. Was aber starr zu bleiben scheint, ist unser Umgang mit den Veränderungen. Wir sind müde geworden, das Wort Change überhaupt noch zu hören. Wo finden wir den heute überhaupt noch Leitartikel die uns auf eine differenzierte Gegenwart zeigen? Klar, wer sucht, der findet im Netz zu allem und jedem ein Fakt, der eine x-beliebige Hypothese bestätigt oder wiederlegt. Aber wo sind all die Menschen, die eine andere Wirklichkeit zeigen können und auch glaubhaft vermitteln können, dass sie auch möglich ist? Gerade war wieder SUFO in St. Gallen. Doch wo bleiben die provokativen Parolen? Wo bleibt der Protest; die Gegenwartskritik, die Kritik an unserer Bequemlichkeit? 

Doch es erscheint alles so glasklar vor uns zu liegen, doch wir bleiben lieber in unserem Kokon. Eben diese Woche hat die Berliner Zeitung auf ihrer Webseite einen längeren Artikel über die Auswirkungen unseres digitaldurchtriebenen Kommunikationsstils auf unsere soziale Interaktion publiziert. Der Autor kam dabei zum Schluss, dass wir „jede Entscheidung gegen ein Miteinander treffen und haben gleichzeitig Angst vor der Einsamkeit. Wir handeln gegen unsere ureigensten Interessen, wir streben kollektiv auseinander. Und beklagen uns dann bei Facebook, dass uns niemand beim Umzug geholfen hat“. Genau dieses kollektive Auseinanderdriften ist dann eben auch eine Ursache dafür, dass alles tendenziös und oberflächlich bleibt. Die oft gelobte Vernetzung durch das Netz verkommt somit zu einer kollektiven Fata-Morgana, die wir sogar noch mit einem „I Like“ kommentieren können. Aber damit haben wir nichts bewegt, ausser ein paar Bits und Bytes und den digitalen Müllhaufen um einen weiteren non-sens vergrössert.

Was uns fehlt, ist eine kollektive vereinende Idee, die so simpel ist, dass jeder sie verstehen kann und sich dafür einsetzen kann. Die Medien und das Netz hätten die Aufgabe, den Leitgedanken für morgen zu porträtieren, ihm Gesichter zu geben und mit einer Story zu füllen. Es braucht wieder mehr Geschichten, die uns dazu inspirieren an etwas anderes zu glauben, als an das vermeintlich freie Netz. Der Mensch ist ein soziales Wesen, doch es wurde bequem, weil er sich die Welt mit einem Klick nach Hause holen kann. Klar, dass daraus nicht viel entstehen kann.

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